Elfmeter zähmen Löwen

Im Viertelfinale des Afrika-Cups gewinnt die Elfenbeinküste gegen Kamerun mit 12:11 nach Elfmeterschießen – ausgerechnet der hoch gelobte Samuel Eto’o jagt den Ball über das Tor

VON OKE GÖTTLICH

Die vierte Minute der Nachspielzeit läuft bereits, als der Schiedsrichter im WM-Qualifikationsspiel zwischen Kamerun und Ägypten einen Strafstoß für die „unzähmbaren Löwen“ aus Kamerun gibt. Ein Sieg in diesem Spiel, und die Westafrikaner hätten erneut die Teilnahme an der WM gesichert. 1:1 lautet der Stand zu diesem Zeitpunkt. Pierre Womé nimmt sich den Ball, legt ihn auf den Punkt und verfehlt das Tor. Die Elfenbeinküste wird Gruppensieger und darf zur Weltmeisterschaft. Als Pierre Womé und mit ihm ganz Kamerun weint, ahnt noch niemand, dass sein Auto angezündet und sein Haus zerstört werden würde. Im Kader der Löwen steht er seitdem nicht mehr. Ein Fußballmoment des Jahres 2005, der ins Gedächtnis gerufen werden muss, um die gesamte Dimension des 12:11-Erfolgs nach Elfmeterschießen der Elfenbeinküste gegen Kamerun im Viertelfinale des Afrika-Cups zu verstehen.

11:11 lautet der Stand, nachdem alle Spieler – auch die Torhüter – erfolgreich vom Punkt agiert hatten. Mit den herausragenden Spielern beider Teams, Samuel Eto’o für Kamerun und Didier Drogba für die Elfenbeinküste, geht das Spiel in die Elfmeterentscheidungsverlängerung. Ein Duell, von dem vor dem Spiel viel Glanz versprochen worden war. Glanz, der in der regulären Spielzeit in keiner Sekunde aufblitzt. Nun läuft Eto’o an und drischt den Ball weit über die Latte. Drogba vollendet das Elfmetertrauma Kameruns. Die Löwen haben sich erneut aus elf Metern selbst gezähmt.

Die erste Niederlage Kameruns gegen die Elfenbeinküste in den letzten Jahren, nach zwei Siegen in der WM-Qualifikation nutzt Henri Michel, Trainer der „Elefanten“, gleich um allen Skeptikern eine Botschaft mit auf den Weg zu geben. „Heute haben wir gezeigt, dass wir berechtigterweise zur Weltmeisterschaft fahren.“ Ein Lächeln kommt bei dieser Ansage nicht über seine Lippen. „Neun von zehn Spielen haben wir unsere Qualifikationsgruppe angeführt. Wir haben uns nicht nur wegen eines verschossenen Elfmeters qualifiziert. Es ist verdient“, so der französische Coach. Die mäßige Leistung seines Teams bei den bisherigen Auftritten erklärt Michel anhand des Kamerun-Spiels. „Es ist eben ein enges Spiel zwischen diesen beiden Mannschaften, die beinahe gleich stark sind.“ Dabei verkneift er sich zu erwähnen, wen er denn stärker einschätze, und wagt einen tristen Ausblick auf das Halbfinale gegen Nigeria (Di., 14 Uhr Eurosport). „Ich erwarte ein ähnliches Spiel gegen Nigeria – physisch und kämpferisch.“

Wie ihre Mannschaft zu den jüngsten Erfolgen gekommen ist, interessiert die Menschen in dem kriegsgeteilten Land nicht. Sowohl im regierungsgeleiteten Süden der Elfenbeinküste wie im rebellengeführten Norden strömten tausende von Menschen in die Straßen der südlichen Hauptstadt Abidjan und der nördlichen Stadt Bouaké. Seit 2002 ist das Land geteilt, nach dem die Rebellen die Regierung stürzen wollten. Eine 11.000 Personen starke Friedenstruppe sichert eine Pufferzone zwischen den beiden rivalisierenden Teilen des Landes. Der Erfolg des Nationalteams, dessen Sturm aus dem im Süden geborenen Didier Drogba und Aruna Dindane aus dem Norden besteht, bietet vielen Menschen eine Ablenkung von dem schwelenden Konflikt. „Seit der Cup begonnen hat, sprechen die Leute in meiner Bar über Fußball. Nur Fußball kann die Leute von der Politik ablenken“, sagt Barkeeper Gerard Bouaffon der Nachrichtenagentur Reuters. Auch die Spieler tragen so weit wie möglich zu einer Deeskalation bei. In einem TV-Spot werben die Spieler, die aus dem ganzen Land stammen, um Vergebung und Waffenstillstand.